Warum „muss“ man sich immer perfekt geben?
In den sozialen Netzwerken ist es mittlerweile schon nicht mehr der Rede wert, dass die meisten Menschen nur die schönen Seiten ihres Lebens präsentieren. Ist ja auch klar. Man hat eine Botschaft und möchte mit Fotos, Videos und Status-Updates gute Laune verbreiten. Verständlich. Aber auch im offline Leben merke ich mehr und mehr, wie versucht wird, keine Schwäche zu zeigen. Sich nicht verletzlich zu zeigen. Dabei interessieren mich die authentischen Geschichten viel mehr. So kann man sich gegenseitig unterstützen und muss sich nichts vorlügen.
Während eines Praktikums vor ein paar Jahren war ich bloß einen einzigen Tag krank. Ich bin nicht zum Arzt gegangen, sondern lag einfach nur völlig fertig im Bett rum und habe mich währenddessen noch gefragt, ob ich überhaupt die Berechtigung dazu habe. Als ich wieder am Start war und mich mit einem anderen Mitarbeiter unterhalten habe, kam es dazu, dass ich das erzählt habe und er hat sich direkt panisch umgeschaut und meinte, dass ich das bloß nicht zu laut sagen darf, nicht dass das noch jemand hört. Ich habe mich aber nicht dafür geschämt. Nur finde ich es schade, dass einem das Gefühl gegeben wird, wenn man eine Erkrankung nicht wenigstens auf dem Röntgenbild sehen kann, dann ist sie nicht existent und sollte am besten totgeschwiegen werden.
Viele Leute sind doch mit ihrem Leben überfordert, nur wollen sie es sich nicht eingestehen. Nach außen geben sie die perfekten Eltern, aber zu Hause herrscht Chaos und Anarchie. Auch ich ertappe mich dabei, wie ich vermeide, Hilfe anzunehmen, weil ich mir dann klein und hilflos vorkomme. Die meisten Menschen helfen jedoch gerne, vor allem wenn sie es selber anbieten. Und wo kämen wir hin, wenn ausreichend Hilfsangebote da sind, aber niemand sie wahrnimmt? Warum versuchen Menschen, den Schein zu wahren? Scheiß drauf, dass einmal pro Woche eine Reinigungskraft vorbei kommt. Das Vertuschen raubt uns doch nur die Energie, die wir für viel bessere und wichtigere Sachen verwenden können. Warum traut sich kaum einer (vor allem im beruflichen Kontext) auch mal verletzlich zu zeigen oder offen zu sagen: Ja, ich brauche Hilfle? Meine zweijährige Nichte kann das noch. Je älter man wird, verlernt man vieles von dem, was uns so unbeschwert leben lässt, wie wir als Kind früher lebten.
Ich ertrage dieses geschönte Leben und diese Perfektionsgeilheit einfach nicht. Darum mache ich hier einen Anfang und zeig mich mit meinen Schwächen und all der Hässlichkeit, die da zum Vorschein kommt, weil ich keine Lust habe, mich zu verstecken.
Tag der offenen Tür in meinem Kopf.
Herein spaziert, auch in die unschönen Ecken.
Ich habe nicht geputzt.
- Ich mag deutsche Popmusik manchmal ziemlich gerne. Zwar kann ich es nicht in Dauerschleife im Radio hören, aber es gibt durchaus Lieder, wo die Texte irgendwas in mir ansprechen und ich sie dann ein paar Tage lang in Dauerschleife höre. Aber nachdem Jan Böhmermann die Tim Bendzko Parodie veröffentlicht hat, hatte ich das Gefühl, man müsse sich regelrecht dafür schämen, wenn man Lieder von dem Sänger mag. Aber auch wenn Jan Böhmermann tolle Arbeit leistet, heißt das nicht, dass man alles abnicken muss, nur weil man ihn durch Popularität und Genialität zu seiner Autorität erhoben hat. Man ist sich immer noch selbst seine eigene Autorität. Keine Frage, es ist eine Industrie hinter der Popmusik, die Songs für den Mainstream produziert, aber wenn diese Musik Menschen berührt, hat es ja durchaus seine Daseinsberechtigung. Außerdem muss man ja auch nicht, wie eine Freundin von mir sagte, alles, was deutsche Musik ist Helene Fischer und Co überlassen.
- Ich liege grade auf dem Sofa rum, schreibe diesen Beitrag und kämpfe gegen die Müdigkeit und Trägheit an. Weil ich in der Theorie genau weiß, dass Nichts-Tun der falsche Weg ist. In der Theorie weiß ich so vieles. Höre seit Tagen motivierende Persönlichkeitsentwicklungs-Podcasts, aber man muss es einfach auch selber umsetzen.
Beruflich // Zum Scheitern verurteilt
- Seit Anfang Mai bin ich arbeitslos und fühle mich jedes Mal schlecht, wenn meine Familie danach fragt oder auch mit Fremden das Thema auf den Beruf kommt. Beim Trampen gehe ich damit ganz unbeschwert um, weil ich weiß, dass es die beste Entscheidung war. Aber auf einer Party neulich war es mir wieder echt unangenehm, darüber zu reden. Ich weiß nicht genau, was ich will. bzw. ich habe ein Gefühl, aber es ist mit Angst verbunden und mit negativen Glaubenssätzen, dass ich es nicht schaffe und sich niemand dafür interessieren würde. Ich mache mir auch immer Druck, dass sich das, was ich tue rentieren muss, weil ich ja auch irgendwie davon leben muss. Aber im Moment lebe ich ja auch von Luft und Liebe und Arbeitslosengeld und es ist ok. Ich lebe ja. Aber es fühlt sich für mich verdammt scheiße an, dass alles in dieser Welt so sehr vom Geld abhängt. Es füht sich scheiße an, dass mein Wohngeldantrag in der ersten Runde abgelehnt wurde. Es fühlt sich auch nicht grade geil an, überhaupt Wohngeld zu beantragen. Aber es fühlte sich noch beschissener an, in einem Job zu stecken, der mich krank gemacht hat. Also halte ich es aus und bin einfach noch auf der Suche. Perfektion wird es nicht geben. Aber ich weiß, dass es Jobs gibt, zu denen man gerne hingeht.
- Ich hasse Abhängigkeiten. Beim Bewerben momentan ist es das schlimmste, von der Gunst der Recruiter abhängig zu sein. Auch privat ein gemeinsames Leben und Familie gründen: Kann ich nicht alleine bestimmen: Anhängigkeit. Wenn ich mich selbstständig mache und auf Kunden angewisen bin: Abhängig. Wenn ich aus dem System aussteigen will und ohne Geld leben möchte: Trotzdem irgendwie abhängig. (Bei Freunden schlafen, Essen conatinern, was weggeschmissen wird usw.). Das Leben ist ein Kompromiss und ich grüble echt viel darüber nach, weil ich doch eigentlich nur mehr auf der Sonnenseite des Lebens stehen möchte.
Privat // Aus tiefstem Herzen grauer Schlamm
- Mir fällt es unglaublich schwer, Freundschaften zu pflegen. Warum kann ich nicht auch einfach mal anrufen und mich melden? Zwar versuche ich das schon öfter zu tun. Aber es klappt einfach nicht so. Hinzukommt, dass ich überhaupt nicht so viele Freunde habe und mir selbst dafür die Schuld gebe. Dann denke ich wieder: Man braucht auch nicht viele Freunde. Aber ich hätte schon gerne Menschen auch hier in Hamburg, mit denen man einfach mal was unternehmen oder reden kann. Meine Schwester hat einen ziemlich großen Freundeskreis und auf einer Party von ihr und ihrem Freund waren über 100 Freunde und Verwandte. So viele würde ich wahrscheinlich nicht mal auf meiner eigenen Hochzeit zusammen bekommen. Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass ich die falschen Erwartungen an das Leben und an die Menschen habe und dass mir deshalb Begegnungen viel leichter fallen als Freundschaften. Beim Trampen habe ich manchmal so tiefgründige Gespräche… Dafür sind doch eigentlich Freunde da.
- Im Moment ertappe ich mich öfters dabei wie ich neidisch bin. Und dabei empfinde ich mich innerlich als ziemlich hässlich. Das ist dann der Abschaum, der aus mir heraus kommt. Wenn andere Menschen das Leben führen oder Dinge besitzen, was ich mir selber für mich auch wünsche (Job, Familie), dann tut das weh. Aber das liegt ja nicht an den anderen, sondern an meiner eigenen Bewertung der Situation. Das macht es zwar nicht besser, aber so kann man wenigstens dran arbeiten.
Das soll es fürs erste gewesen sein. Vielleicht mache ich das in Zukunft noch mal, denn es hat sich irgendwie gut angefühlt, alles einfach mal aufzuschreiben und sich so zeigen zu können, wie man wirklich ist.
Lasst mir in den Kommentaren oder auf Facebook oder Instagram gerne Feedback mit euren Gedanken da. Seid einfach authentisch, lebt euer Leben, ohne euch zu verstecken oder für andere zu verbiegen! Das ist meine heutige Botschaft für euch.
Bis bald!
Wiebke
Liebe Wiebke,
wie wunderbar, dass ich dich hier in deinen Wortwelten kennenlerne – und nicht im beschissenen Job, bei dem wir uns kurz über den Weg gelaufen sind. Ich weiß nicht, was schief gelaufen ist, nur: Gib das Schreiben nicht auf. Das ist dein Ding. Es gibt andere Orte, an denen du als Kreative aufblühen kannst. Wo du warst, versteht dich keiner. Weil das alles Zahlenmenschen und Technikjünger sind, die deine Liebe zum Texten nicht teilen. Ich denke, du wärst als Juniortexterin in einer Kreativagentur gut aufgehoben. Oder du verdienst Geld mit deinem Blog?
Ich wünsch dir weiterhin so viel Ehrlichkeit.
Dany
Hallo Dany, vielen lieben Dank für deinen Kommentar. Wenn man so viel Liebe für das Schreiben hat, dann muss man sich dahin begeben, wo man es auch ausleben kann. Ich werde wohl erstmal freiberuflich arbeiten und wie es aussieht in Zusammenarbeit mit einer Agentur, die auf meiner Wellenlänge ist und wo ich texten und Social Media machen kann. Wer weiß, was noch kommt? Mit dem Blog verdiene ich kein Geld. Vielleicht werde ich das irgendwann. Im Moment ist es nur Gedankenkotze, die hoffentlich den einen oder anderen inspiriert.
Wenn dich die Jobgeschichte interessiert: Ich habe meine Stelle beendet, weil ich den Jahresvertrag selber nicht verlängern wollte. Hat nicht mehr gepasst. 6 Wochen vorher wurde ich allerdings freigestellt, weil ich eine Aufgabe aus moralischen Gründen nicht machen wollte. Zack bumm. Zuhören kostet Zeit, also kurzer Prozess.
Ich wünsche dir von Herzen alles Gute und dass du auch dein Texterherz schlagen hörst, hinhörst und es auslebst.