Eigenschaften, die wir bei anderen Menschen am meisten verabscheuen oder ablehnen, haben häufig mehr mit uns selbst zu tun als wir wahrhaben wollen. Diese Essenz aus dem Buch „Trauer Panik Leidenschaft – Geschichten aus der Psychotherapie“ von Gabriel Rolón ist zwar keine neue Erkenntnis für mich, aber eine angenehme Erinnerung.
Einblicke in den Kopf von Patient und Pschoanalytiker
Ausgesucht habe ich mir das Buch*, weil ich mich schon lange für das Thema Psychoanalyse interessiere und sowohl mich als auch mein Denken, mein Umfeld und meine Träume permanent analysiere. Eigene Therapie-Erfahrungen liegen bei mir schon 10 Jahre zurück. Allerdings handelte es sich dabei nicht um eine Analyse, sondern um eine Gesprächstherapie. Zusätzlich zu meinem persönlichen Interesse, habe ich mir gewünscht, aus dem Buch vieles für meine Ausbildung als Trauerbegleiterin mitnehmen zu können. Und dieser Wunsch ging in Erfüllung, da u.a. die Themen Tod, Trauer, Angst und Schuld thematisiert werden.
Aus Sicht des Psychoanalytikers werden in dem Buch fünf Fälle aus seiner beruflichen Praxis erzählt und mit eigenen Gedanken angereichert. Es ist spannend, auch Einblicke in den Kopf des Therapeuten zu erhalten, sie sonst im Dunkeln bleiben. Auch in mir steckt diese Neugier, die einen dazu treibt, mehr vom Patienten erfahren zu wollen und dem Rätsel seiner Probleme auf die Sput zu kommen. Welche Muster zeichnen sich im Leben ab? Welcher Fehler wird immer und immer wieder begangen? Was versucht man in seinem tiefsten Inneren vor Anderen und vor sich selbst zu verbergen?
Psychoanalyse = Investigativ nachgefragt?
Mein ehemaliger Mitbewohner meinte einmal, dass ich eine eigene Fernsehsendung bekommen sollte, die den Titel „Investigativ nachgefragt“ trägt. Mit dem Gedanken konnte ich mich sofort anfreunden, nehme ich doch kein Blatt vor den Mund, rede gerne über vermeintliche Tabuthemen wie Tod oder Sex und frage auch mal ganz forsch nach, ob jemand seine Unterwäsche bügelt oder schon mal Drogen genomen hat.
Was mich das Buch gelehrt hat, ist auf jeden Fall weniger mit der Tür ins Haus zu fallen und vielleicht einmal mehr nachzudenken bevor es aus mir heraussprudelt.
Das Unterbewusstsein fasziniert mich schon lange. Mit den Fallbeispielen durchlebt man die Sitzungen, welche sich über einen Zeitraum mehrerer Monate oder Jahre erstrecken, in Kürze mit. Das hat mich erst einmal ziemlich erschöpft zurückgelassen. Und das bereits bei der Hälfte des Buchs. Aber der Drang, mehr zu erfahren und in die Geschichten einzutauchen, sie einzuatmen, war stärker.
Erkenntnisgewinn
Beruhigend und bestätigend zugleich war die Erkenntnis, dass alles Wissen und „die Wahrheit“ in einem selbst liegt. Der Analytiker ist ein Begleiter durch die schwere Zeit und hilft durch gezielte Fragen zu neuen Erkenntnissen beizutragen, sowie Kräfte und Mut zu mobilisieren, aber am Ende hat es der Patient selbst in der Hand, wie er sein Leben gestalten möchte und welche Konsequenzen er aus der Analyse zieht. Und das ist nicht immer der vom Psychoanalytiker gewünschte Weg, aber das gilt es zu akzeptieren.
Besonders spannend waren die festgefahrenen (Selbst-) Bilder, Denkmuster und Glaubenssätze der Patienten, die es gilt zu erforschen und durch Selbsterkenntnis aufzulösen. An zahlreichen Beispielen macht Gabriel Rolón, selbst renommierter Psychoanalytiker, deutlich, wie wichtig es ist, auf bestimmte Formulierungen der Patienten zu achten, beispielsweise weil sie so ungewöhnlich sind, auch wenn sie sich erst später erschließen. Worte sind in der Psychoanalyse ein wichtiges Mittel zum Zweck. Aber sie sind noch mehr: Worte können sich in unsere Seele einbrennen. Sie können verletzen. Von klein auf prägen sie uns, so dass wir manchmal die Wahrheit der Anderen als unsere eigene Wahrheit übernehmen und folgenschwer darunter leiden, manch einer daran kaputt geht und es einem selbst nicht bewusst ist.
Jeder hat seine eigene Wahrheit
Aber jeder hat seine eigene Wahrheit. Und die gilt es, wieder ans Tageslicht zu befördern. Mit psychoanalytischer Hacke und Schaufel bedeutet das Schwerstarbeit für den Patienten. Aber niemand hat gesagt, dass es einfach wird. Absolut lesenswert ist in dem Zusammenhang auch das Nachwort des Autors mit einem Statement und seiner eigenen Sicht auf die Psychoanalyse.
Passend zum Inhalt des Buches habe ich auf der Couch begonnen zu lesen und dann im Zug fortgesetzt. Da mich das Buch so gefesselt hat und ich die Fälle verschlungen habe wie warme Schokomuffins mit flüssigem Kern, hatte ich die letzten drei Stunden der Zugfahrt leider keinen Offline-Lesestoff mehr zur Verfügung. „Trauer Panik Leidenschaft“ empfehle ich allen lesebegeisterten Menschen, die sich für das Unterbewusste, die Psychoanalyse und psychische Erkrankungen interessieren oder bei einer analytischen Sitzung gerne einmal Mäuschen spielen möchten. Die echten Fällte wurden vom Autor authentisch erzählt, so dass man selbst zu rätseln und analysieren beginnt. Für mich war die Lektüre ein schnelles, aber dennoch spannendes Lesevergnügen.
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*Das Buch wurde mir kostenlos von der Verlagsgruppe Random House GmbH als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Für diese Buchrezension erhalte ich kein Honorar. Alles, was ich in diesem Beitrag schreibe, ist meine eigene Meinung.